MFJB

1. 10. 2020, 19.00 Uhr

Mozart-Saal des Theaters Reduta

Autor: Leoš Janáček
Tenor: Pavol Breslik
Klavier: Robert Pechanec
  Jan Jiraský

Unter Mitwirkung von Solistinnen aus dem Ensemble der Janáček-Oper des Nationaltheaters Brno

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In der ersten Hälfte des Abends KLAVIERREZITAL VON JAN JIRASKÝ

Leoš Janáček – Im Nebel

Béla Bartók – Allegro barbaro BB63

Kryštof Mařatka – Onyrik zukünftige und fremdländische Geschichten fur andersartig temperiertes Klavier

Igor Strawinsky – Piano Rag Music


In der zweiten Hälfte des Abends LEOŠ JANÁČEK – TAGEBUCH EINES VERSCHOLLENEN, Premiere der Aufführung anhand der szenischen Anmerkungen des Autors.

Dieser Konzertabend möchte darstellen, welch unterschiedlichen Niederschlag die Begrifflichkeiten der Volksmusik und der volkstümlichen Kultur im Schaffen der Komponisten zu Beginn des 20. Jahrhunderts und zu Beginn des 21. Jahrhunderts fanden.

Janáčeks kammermusikalischer Liedzyklus Tagebuch eines Verschollenen, sei es in konzertanter oder in szenischer Form, ist bereits ein traditioneller Programmpunkt des Festivals, bei dem herausragende Tenöre von Peter Straka über Aleš Briscein bis hin zu den britischen Gesangsgrößen Toby Spence und Edgar Lyon brillieren konnten. Auch 2020 wird dieses Werk im Programm nicht fehlen, und als Hauptprotagonist wird sich erstmals überhaupt in Brno der ausgezeichnete slowakische Tenor Pavol Breslik präsentieren. Diesen Sänger kennen etwa die Besucher der New Yorker Metropolitan Opera, der Bayerischen Staatsoper oder der Royal Opera in Covent Garden; vertreten ist er auch bei den Salzburger Festspielen, beim Edinburgh International Festival oder den BBC Proms

„Morgens irre ich durch den Garten, nachmittags fallen mir regelmäßig einige Motive zu diesen schönen Versen über die Zigeunerliebe ein. Vielleicht wird daraus ein schöner musikalischer Roman – und ein Stück der Stimmung von Luhačovice wäre darin…“, schrieb Janáček in einem Brief an Kamila Stösslová, die er im Sommer 1917 in Luhačovice kennen gelernt hatte. Die junge Dame wurde zu Janáčeks letzter großer Liebe und zur Inspiration für seine größten Meisterwerke. So kann es nicht verwundern, dass er sich unter dem Einfluss ihrer betörenden Augen an ein Feuilleton erinnerte, welches er sich zwei Jahre zuvor aus der Tageszeitung Lidové noviny ausgeschnitten hatte. Das Gedicht eines damals unbekannten Poeten mit dem Titel Aus der Feder eines Autodidakten handelt von einem jungen Buschen aus dem Dorf, der sich in die Zigeunerin Zefka verliebt hat und am Ende mit ihr zusammen heimlich flieht. Dieser Text regte Janáčeks Fantasie an, und Kamila verwandelte sich in seinen Augen in die schöne Zigeunerin. Zwei Jahre arbeitete Janáček an der Sammlung von 22 Gedichten im volkstümlichen Stil (deren Autor, wie achtzig Jahre später bekannt wurde, der Schriftsteller und Mundartdichter Ozef Kalda war), bis daraus der außergewöhnliche Liedzyklus Tagebuch eines Verschollenen für Tenor, Mezzosopran, drei Frauenstimmen und Klavier entstanden war. Die Premiere fand am 18. April 1921 im Brünner Theater Reduta statt. Die Einstudierung übernahmen Schüler Janáčeks – der Tenor Karel Zavřel, die Altistin Ludmila Kvapilová-Kudláčková und der Dirigent Břetislav Baka­la, welcher sich des Klavierparts annahm. Die suggestive Bearbeitung der Lieder rief jedoch geradezu nach einer Bühnenadaption. Die erste ließ nicht lange auf sich warten – am 27. Oktober 1926 hob sich im slowenischen Ljubljana der Vorhang. Das tschechische Publikum dagegen musste sich noch fast zwei Jahrzehnte gedulden, bis am 26. Juli 1943 in Pilsen die erste szenische Aufführung stattfand. Die für das Festival Janáček Brno 2020 im Mahen-Theater geschaffene Bühnenadaption des Tagebuchs eines Verschollenen hält sich streng an die Regieanwesungen, die der Autor in seiner Notation hinterlassen hat.

Autor: Patricie Částková

Kryštof Mařatka (geboren 1972) ist einer der anerkanntesten tschechischen Komponisten der Gegenwart, und dies auch über die Grenzen unseres Landes hinweg. In seinen Kompositionen reflektiert er schon seit Langem die volkstümliche Musik verschiedenster Nationen der ganzen Welt und verarbeitet dieses Material in bemerkenswerter Weise. Sein Klavierstück Onyrik aus dem Jahr 2013 beschwört die Atmosphäre einer fernen, nicht greifbaren Welt herauf und ist für ein „leicht detemperiertes“ Klavier geschrieben; der Autor schafft diese Stimmung unter Verwendung von acht magnetischen Kugeln, die auf genau bestimmten Saiten liegen. So entsteht eine ganz eigene Stimmung, welche die harmonischen Möglichkeiten des Instruments erweitert, wobei die in Richtung von Mikrointervallen gehenden ungewohnten harmonischen Verbindungen eine Art Traumwelt evozieren.

Auch das Werk von Béla Bartók (1881–1945) hat seine Wurzeln in der Volksmusik, mit der sich der Komponist für viele Jahre auch auf theoretischer Ebene auseinandersetzte. Das kurze Allegro barbaro ist Bartóks erstes Klavierstück und markiert gleichzeitig einen grundlegenden Umbruch in seinem Werk. In den Vordergrund rückt hier ganz klar die Rhythmik, die jedoch dank überraschend gesetzter Akzente auf originelle Weise zum Zuge kommt. Auch die Dynamik ist sehr kontrastreich – so finden wir in unmittelbarer Nähe zueinander nahezu unhörbare Stellen und solche von maximaler Lautstärke.

Ebenso ikonisch ist Igor Strawinskys (1882–1971) Komposition Piano-Rag-Music aus dem Jahr 1919. Nachdem er von Russland nach Paris übergesiedelt war, begann sich Strawinsky für amerikanischen Jazz zu interessieren, zu dem er den Zugang zunächst aus amerikanischen Noteneditionen, später aus Live-Auftritten gewann. Gerade aus jener Zeit stammt auch sein Stück Piano-Rag-Music. Der Autor ging hier vom damals sehr populären Ragtime aus, den er jedoch radikal veränderte. Geblieben sind lediglich bestimmte rhythmische und harmonische Fragmente, die sich mit Strawinskys typischem Ostinato, einer Akzentuierung in den Übergängen und in einigen Momenten auch mit Bitonalität vermischen. So ist eine überaus lebhafte und faszinierende Komposition entstanden.

Auch die Musik Leoš Janáčeks (1854–1928) ist im volkstümlichen musikalischen Ausdruck verwurzelt, wenngleich in seinem Klavierzyklus Im Nebel diese Ausgangsbasis eher latent vorhanden ist. Janáček vollendete dieses Werk im Jahr 1912. Kurz zuvor, im Jahr 1910, war er mit seiner Gattin und der Haushälterin in ein neues Häuschen im Garten der Orgelschule umgezogen, wo er, von der Welt abgeschirmt, mit angegriffenem Selbstbewusstsein und melancholischen Stimmungen hingegeben, sein letztes umfangreicheres Werk für Soloklavier komponierte. Sein Werk begann er, nachdem er kurz zuvor die Klavierwerke des französischen Komponisten Claude Debussy gehört hatte, und so ist es kein Zufall, dass sein träumerisches, melancholisches Werk Elemente des Impressionismus zeigt. Der Zyklus Im Nebel errang den ersten Preis in einem Kompositionswettbewerb des Klubs der Kunstfreunde, welcher die siegreiche Komposition hätte publizieren sollen. Janáček überließ diese Möglichkeit jedoch seinem Schüler Jaroslav Kvapil, dem zweiten Preisträger des Wettbewerbs. Der Zyklus Im Nebel erklang in der Interpretation Marie Dvořákovás erstmals am 7. Dezember 1913 in Kroměříž.

Autor: Jiří Zahrádka