MFJB

8. 10. 2020, 19.00 Uhr

Mahen-Theater

Dirigent: Pavel Šnajdr
Klavier: Pavel Zemen
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Dirigent: Pavel Šnajdr

Klavier: Pavel Zemen

Václav Dobiáš: Říkadla pro nonet (Reime für ein Nonet), zusammen mit der Vorführung von „Erster Mai“ von Thea Červenková aus dem Jahr 1919

Leoš Janáček: Concertino JW VII / 11 für Klavier, zwei Violinen, Bratsche, Klarinette, Waldhorn und Fagott

Martin Smolka: Hats in the sky (zusammen mit der Vorführung von Hans Richters Vormittagsspuck aus dem Jahr 1928 – die Musik ist direkt für diesen Film komponiert)

Igor Strawinsky: Pulcinella – Suite (1919 – 20, rev. 1949)

Im Rahmen des Konzertes erklingen zwei repräsentative Werke der Musikgeschichte, die im Abstand von nur acht Jahren entstanden, aber zwei grundsätzliche Gegenpole jener Wege illustrieren, welche die Musik des 20. Jahrhunderts in der Folge nehmen sollte.

Igor Strawinskys Ballett Pulcinella stellt das genaue Gegenteil der Komposition Pierrot lunaire dar. Der Autor lebte bereits vor dem Ersten Weltkrieg außerhalb Russlands, meist in Frankreich und der Schweiz. In Paris hatte er sich mit Sergei Djagilew angefreundet, einem Propagator russischer Kunst und Organisator des Russischen Balletts, mit dem seit 1910 führende moderne Komponisten (Debussy, Satie, Poulenc, Prokofjew) und bildende Künstler (Picasso, Chirico, Braque, Matisse) zusammenarbeiteten. Für Djagilews Ensemble schrieb Strawinsky seine ersten Ballettpartituren – Der Feuervogel, Petruschka und Le Sacre du Printemps –, bahnbrechende Werke nicht nur im Schaffen ihres Autors, sondern auch in der Geschichte der europäischen Musik. Der neue, expressiv offensive Klang von Strawinskys Musik jener Epoche, wo der Rhythmus gegenüber der Melodik und Harmonie dominiert, erreichte seinen Höhepunkt im Ballett Le Sacre du Printemps, dessen Premiere im Jahr mit einem legendären Skandal endete. Auch das gesungene Ballett Pulcinella aus dem Jahr 1919 entstand als Auftragswerk für Djagilews Russisches Ballett. Mit dem Anbruch der Zwanzigerjahre kam es jedoch zu einem Wandel in Strawinskys Schaffen. Anstelle ungestüm rhythmischer, „barbarischer“ Partituren entstanden Werke mit kleinerer Kammerbesetzung, die die Hinwendung zum Neoklassizismus markierten. Die Grundlage des Balletts Pulcinella bilden unvollendete und unpublizierte Kompositionen des italienischen Meisters Giovanni Battista Pergolesi aus dem 18. Jahrhundert, die Djagilew während seiner Aufenthalte in Italien ausfindig machte und abschreiben ließ, um sie Strawinsky vorzulegen, der sie redigieren und zu einer Ballettmusik verarbeiten sollte. Die Kompositionen stammten aus dem Archiv des Konservatoriums von Neapel, es handelte sich um den dritten Akt der Oper Il fratello inamorato aus dem Jahr 1732 und Fragmente aus der Oper Il Flaminio. Dazu gesellte sich Melodiematerial aus Triosonaten für zwei Violinen und Basso continuo, aber auch einige bekannte Arien. Später wurde Strawinsky zum Vorwurf gemacht, er habe gegenüber dem großen Komponisten nicht genügend Achtung und Pietät walten lassen. Nach Strawinsky jedoch bleibt Achtung stets unfruchtbar und kann nie ein produktives und schöpferisches Element sein. Das Sujet des Balletts bestimmte wiederum Djagilew, der in Neapel Manuskripte von Komödien des neapolitanischen Volkstheaters aus dem Jahr 1700 gefunden hatte, aus denen er die Komödie Die vier gleichen Pulcinellas mit Figuren der italienischen Commedia dell’arte auswählte. Die Choreografie des Balletts stammte von Leonid Mjasin, das Bühnenbild von Pablo Picasso. Die Premiere fand 1920 an der Pariser Nationaloper statt, und Strawinsky war mit der endgültigen Form der Vorstellung überaus zufrieden: „Die Vorstellung von Pulcinella war eines jener – sicherlich seltenen – Theaterereignisse, wo alles Hand in Hand geht und wo das Ergebnis aller Elemente, des Sujets, der Musik, der Choreografie, der Ausstattung, ein kontinuierliches, homogenes Ganzes ergibt.“ Pulcinella zählt bis heute zu den reizvollsten Werken des Neoklassizismus.

Das Concertino, von Janáček (1854–1928) selbst bisweilen ein „kleines Klavierkonzertchen“ genannt, ist das mittlere von drei Kammerwerken (Jugend, Concertino und Capriccio) aus der größten Schaffensphase des Komponisten. Zur Komposition seines Concertino wurde Janáček 1924 durch den herausragenden Vortrag des ausgezeichneten tschechischen Pianisten Jan Heřman inspiriert, dem der Autor sein Werk anschließend auch widmete. Ursprünglich sollte das Stück eine Suite mit dem Titel Frühling werden. Kurz vor seiner Fertigstellung schrieb Janáček aus Hukvaldy seiner Freundin Kamila Stösslová: „…Ich habe hier ein Klavierkonzert Frühling komponiert. Dort finden sich eine Grille, Fliegen, ein Rehbock – ein reißender Bergbach – und natürlich der Mensch…“ Der Titel Frühling – Suite wich jedoch schließlich dem schlichten Concertino. Seine erste Aufführung erlebte das Stück am 16.2.1926 in Brno im Rahmen eines Konzerts des Klubs mährischer Komponisten und fand dabei beim Publikum so großen Anklang, dass es noch ein zweites Mal gespielt werden musste. Um nichts geringer war der Erfolg des Concertino auch bei seiner ersten Aufführung in Prag im selben Jahr, und schon bald war das Stück praktisch auf der ganzen Welt zu hören. Unter anderem wurde es 1927 beim Festival der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik in Frankfurt aufgeführt. Auf Anregung der deutschen Fachzeitschrift Pult und Taktstock verfasste Janáček 1927 eine Erklärung des Inhalts der Komposition. Im ersten Satz ärgert sich der Igel, dass man ihm den Eingang zu seinem Bau in der alten Linde versperrt hat. Der zweite Satz handelt von einem Eichhörnchen, das einst durch die Baumkronen hüpfte, dann aber zum Spaß der Kinder in einem Käfig tanzen musste. Im dritten Satz blicken die runden Augen des Käuzchens, der Eule und des übrigen nächtlichen Kritikergesindels überheblich in die Klaviersaiten, und im vierten Satz sieht es aus, als würden sich alle um einen Groschen streiten – wie im Märchen.

Autor: Jiří Zahrádka